Labin – Unterstadt

Einleitung

In der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts setzte in den Istrischen Kohlenbergwerken Raša, die zum Azienda carboni italiani (A.Ca.I.), dem Unternehmen für Kohlenbergwerke Italiens im damaligen Königreich Italien gehörten,  ein steiler Aufschwung ein. Die modernen Bergwerke konnten ein sprunghaftes Produktionswachstum verzeichnen, die Jahresproduktion näherte sich einer Million Tonnen Steinkohle. Parallel dazu stieg auch die Anzahl der Beschäftigten auf fast 10.000 an.  Das Unternehmen baute daher zwei neue Arbeitersiedlungen, die den erhöhten Wohnungsbedarf decken sollten: zuerst entstand die Bergwerkstadt Raša (Arsia) (1936 – 1940), und dann die Unterstadt von Labin (1939 -1942), die Pozzo Littorio d’Arsia (Liktorengrube von Raša) genannt wurde und administrativ zur Gemeinde Raša gehörte. Unter dem Einfluss der faschistischen Propaganda wird in der Literatur oft angegeben, dass diese beiden Siedlungen auf Mussolinis besonderen Wunsch gebaut wurden, was nicht der Wahrheit entspricht. Sie wurden zwar während seiner Herrschaft und mit seiner Unterstützung errichtet, aber im Rahmen einer ganzen Reihe von sog. Neugründungen (città di fondazione), hinter denen politische Zielsetzungen standen. Hier ging es aber um zwei Siedlungen, die eigens zur Befriedigung der Wohnbedürfnisse der Bergleute entstanden. 

Die Siedlung

Die Unterstadt von Labin ist die letzte Neugründung in der sog. faschistischen Ära (1940 -1942). Sie wurde am 28. Oktober 1941 zur Feier des 20. Jahrestages des „Marsches auf Rom“ eröffnet, der den Faschisten den Weg an die Macht ebnete. Das Kohlenbergwerksunternehmen wollte mit dem Wohnungsbau die benötigten Arbeitskräfte an sich binden und damit das Problem der fluktuierenden Arbeitskräfte lösen. Ein Bergmann, den man für eine längere Zeit an ein Bergwerk bindet, wird einerseits wirtschaftlich von seinem Arbeitgeber abhängig und dadurch dem Unternehmen verbundener und auch treuer; andererseits sammelt er mit der Zeit wertvolle bergmännische Erfahrung, so dass Unfälle seltener vorkommen und er  produktiver wird.

Die städtebauliche sowie die architektonische Planung der neuen Siedlung wurde dem jungen, doch schon anerkannten Architekten Eugenio Montuori (Pesaro 1907 – Rom 1982) anvertraut. Er war ein überzeugter Anhänger der Moderne, des Funktionalismus und des Rationalismus in der Architektur, und hatte die nötige praktische Erfahrung, da er schon an der Planung der Neugründungen Sabaudia (1934), Aprilia (1936) und Carbonia (1937) mitwirkte. Außerdem hatte er, zusammen mit Vitellozzi, mit der einfallsreichen und modernen Fassadengestaltung des Bahnhofgebäudes Termini schon großen Erfolg in Rom geerntet. 

Die neue Siedlung in der Unterstadt von Labin entstand auf einer Gesamtfläche von 100.000 m² auf einem relativ ebenen Plateau auf etwa 220 m Höhe über dem Meeresspiegel. Sie liegt unterhalb des historischen Kerns von Labin (der Altstadt), der sich auf einem Hügel befindet. Die Entfernung von Raša beträgt etwa 5 km. Wie Raša, so ist auch die Unterstadt von Labin zwar in der Nähe des Bergwerks, aber doch in einiger Entfernung davon, errichtet worden. Der Architekt war nämlich bestrebt, die Verschmutzung des Wohnviertels durch das Industrieviertel der Stadt möglichst zu vermeiden.

Montuori entwarf einen äußerst vereinfachten Stadtgrundriss. Wie in der antiken Stadt, bzw. in den Bauplänen der römischen Militärlager (man sollte sich jedoch vergegenwärtigen, dass sich der italienishe Faschismus als Nachfolger des alten Roms sah), verlaufen die Straßen rechtwinklig zueinander, was den Schein einer perfekten Ordnung und Harmonie schafft. In ein solches, konsequent durchgeführtes „insulares“ Raster stellt Montuori Gebäudezeilen auf, die aus zwei Haustypen bestehen und die gleiche Nord-Süd-Ausrichtung haben, um die Außenfronten vor Boraböen zu schützen. Dem ursprünglichen Bauplan nach sollten in der Labiner Unterstadt 14 große zweigeschossige (sog. kazarmoni, nach dem italienischen casermone) und 50 kleinere eingeschossige (sog. kazakape, nach dem italienischen Case per i capi) Häuser errichtet werden, es wurden aber schließlich 12 große und 41 kleinere Häuser gebaut. Das Zentrum der Siedlung bildete der Stadtplatz, der sich in ihrem südwestlichen Randteil befand. Völlig getrennt von diesem Stadtteil, unmittelbar unterhalb der Altstadt von Labin, wurden noch 20 eingeschossige Häuser (sog. vilete, nach dem italienischen villette) errichtet,  die sich von den zwei schon erwähnten Haustypen unterschieden. Die drei Haustypen spiegeln die strenge Hierarchie der Beschäftigen wieder, die man in Bergleute und Hilfskräfte, Aufsichtspersonen (unmittelbare Produktionsleiter) und Angestellte sowie Techniker und Ingenieure unterteilte. Der Wohnungsbestand der damaligen Unterstadt belief sich auf etwa 600 Wohnungen für ungefähr 2400 bis 3000 Bewohner. Beim Bau der Labin Unterstadt wurden im großtmöglichen Maß lokal verfügbare Baumaterialien benutzt, vor allem Stein, Sand und Zement.

Auch in der Labiner Unterstadt wurden die damals in der Architektur herrschenden Prinzipien des Rationalismus und des Funktionalsmus befolgt, so dass Montuoris Gebäudekörper ein klares, einfaches und regelmäßiges  Volumen mit reinen, glatten, wenig gegliederten Flächen aufweisen und eine durchaus mediterrane Prägung haben. Dabei bilden die im lokalen Naturstein ausgeführten Fassadensockel einen Kontrast zu den glatten Fassadenoberflächen.  

Der Stadtplatz

Der Stadtplatz wurde am Schnittpunkt zweier Hauptstraßen angelegt. Es ist ein eigentlich räumlich in zwei Bereiche gegliedertes längliches Rechteck,  dessen größerer Teil für öffentliche Zwecke vorgesehen ist, vor allem Läden, aber auch für  politische und religiöse Massenversammlungen. Die kleinere, für religiöse Zwecke bestimmte Fläche ist vom übrigen Raum etwas abgehoben und durch einen im Stein ausgeführten Säulengang mit vier rechteckigen Lücken von ihm  getrennt. Hier befinden sich eine Kirche und ein Glockenturm. Ein Eckturm dominiert den größten Teil des Platzes. Zwischen diesem Turm und dem benachbarten Gebäude (genannt Ceva) befindet sich eine Lücke, die der Durchgang zur dahinterliegenden Stadtmarkthalle ist. In der Mitte dieses größeren Platzteiles ließ der Architekt statt des üblichen Springbrunnens einen großen Baum wachsen, den eine runde steinerne Bank umgibt. Hier konnten sich die Stadtbewohner im angenehmen Schatten ausruhen oder unterhalten. Montuori hob auf dem Stadtplatz zwei Elemente besonders hervor: den Eckturm als Symbol der politischen, und den Glockenturm als Symbol der religiösen Macht. Vom Stadtplatz aus eröffnen sich drei schöne Aussichten entlang der von ihm auslaufenden Straßen mit rhythmisch aneinander gereihten Häusern gleicher Höhe. Der Ausblick in Richtung Osten bietet außerdem ein schönes Panorama der mittelalterlichen Altstadt von Labin. In südlicher Richtung befindet sich die St.-Franziskus-Kirche mit dem danebenstehenden eckigen Glockenturm, der auf den harmonischen Komplex den notwendigen vertikalen Akzent setzt.

Dem Bauplan von Montuori nach sollten am Stadtplatz folgende öffentliche Gebäude gebaut werden: Räume zur Freizeitgestaltung der Arbeiter (sog. Dopolavoro), ein Kino, eine Grundschule, ein Kindergarten, ein Jugendzentrum mit Sporthalle, Gemeindeaußenstellen, eine Post, ein Junggesellenheim, eine Kantine und, in einiger Entfernung vom Stadtplatz, auch eine Ambulanz mit Krankentrakt für 40 Patienten sowie eine Einrichtung für die gesundheitliche Fürsorge der Kinder. Die meisten dieser Gebäude wurden aber nie errichtet. Dopolavoro heißt heute das alleinstehende einschoßige Gebäude an der Straßenkreuzung zu Ripenda. Die für die gesundheitliche Fürsorge bestimmten Gebäude dienten nie ihrem ursprünglichen Zweck und wurden nach dem II. Weltkrieg zu einem Schulzentrum umfunktioniert. 

Die Harmonie des Stadtplatzes wurde nach dem II. Weltkrieg grob und unwiderruflich beeinträchtigt: erstens wurde der Säulengang vor der Kirche berrierenartig zugemauert, und zweitens wurden alle am Stadtplatz errichteten Wohnhäuser um eine oder zwei Etagen erhöht, so dass der Turm seine dominante Stellung verlor. Durch diese Eingriffe und Anbauten wurde Montuoris ursprüngliche Idee von der Gestaltung des Stadtplatzes völlig entwertet.

Der Eckturm und das Haus Ceva

Das größere Teilstück des Stadtplatzes wird von einem hohen Eckturm und dem Haus Ceva dominiert. Zu seiner Entstehungszeit wurde der Eckturm torre littorio (Liktorenturm) genannt. Obwohl der Name auf die römischen Rutenbündel (fasces), das Symbol der Kraft, der Einheit und der Einigkeit, hinweist, knüpft der Eckturm in in der Labiner Unterstadt im Grunde doch eher an die Tradition des italienischen mittelalterlichen Stadtpalastes bzw. Stadtturms an, in dem sich der Stadtverwaltungssitz befand. Der Eckturm sollte außerdem als Luftschutzraum im Falle eines Luftangriffes dienen. Daher sind seine Mauer, wie bei einer Festung, vollständig mit waagrecht angelegten Steinbändern verdeckt und das kompakte, massive Mauerwerk ist  nur unterhalb der Spitze mit fünf engen rechteckigen Fenstern versehen. An der dem Stadtplatz zugekehrten Fassade des Gebäudes, das spürbar höher als alle umliegenden zweigeschossiigen Häuser ist, war ursprünglich ungefähr in der Höhe des ersten Obergeschosses ein Rednerbalkon angelegt, von dem aus sich die faschistischen Parteifunktionäre an das Volk wandten. Der Eckturm ist eigentlich das einzige erzwungene Zugeständnis des Architekten an die faschistische Ideologie – kein Wunder, dass gerade darin der Sitz von Mussolinis PNF (Nationale Faschistische Partei) war. Nach dem II. Weltkrieg verlor der Eckturm durch die Aufstockung der umliegenden Häuser seine Dominanz und auch der Balkon, das Symbol der faschistischen Rethorik,  wurde abgerissen.

Das Haus Ceva wurde nach den Anfangsbuchtaben des Namens seines Architekten, der Cesare Valle hieß, benannt. Ein völlig gleichartiges, nur etwas größeres, gleichnamiges Gebäude mit Grundriss in L-Form ist in der Stadt Carbonia zu finden. Das verspielte Erdgeschoß des zweigeschossigen Gebäudes in der Unterstadt von Labin weist eine Reihe von Arkaden auf, die halbrunde Nischen bilden. In den Nieschen befanden sich vor allem für Läden und Geschäfte bestimmte Geschäftsräume, während in den Obergeschoßen Wohnungen waren. Nach dem II. Weltkrieg wurde das Haus Ceva, wie die meisten anderen Gebäude, wegen Wohnungsmangel um zwei Etagen erhöht.

St.-Franziskus-Kirche und der Glockenturm

Als dem bedeutendsten Gebäude am Stadtplatz widmete Montuori dem Kirchenbau besondere Aufmerksamkeit. Wegen der Ausrichtung und der Größenverhältnisse des Stadplatzes konnte das Kirchengebäude nicht in der Ost-West-Ausrichtung, wie es sonst die katholische Tradition verlangt, gebaut werden. Unmittelbar vor der Kirche befand sich eine zweite, kleinere, offene Vorhalle mit Säulen und Treppen, die nachträglich seitlich zugemauert wurde. An der Ostseite des Kirchengebäudes, wo eine Mauer errichtet wurde, hinter der einige Bäume wuchsen, legte der Architekt den Stadtpark an. Die hohe, monumentale, kulissenartige Fassade, die größer als die eigentliche Kirche war, sollte die Wichtigkeit des Baus hervorheben. Die monolithische Fassadenfläche unterbricht ein großes ovales Fenster mit Glasmalerei, die den hl. Franziskus zeigt. Von den berühmten Renaissancebeispielen aus der Toskana angeregt, gliedert Montuori die Kirchenfassade durch regelmäßige senkrechte Steinbänder in zwei verschiedenen Nuancen. Ähnlich verspielt ist auch die Glockenturmfassade.  

In der dreischiffigen St.-Franziskus-Kirche ist das Hauptschiff besonders betont, so dass die Seitenschiffe als enge Durchgänge wirken, aus denen man, vor allem wegen der massiven Pilaster, den Gottesdienst kaum verfolgen kann. Der Altarraum in der Apsis sowie die Pilaster sind mit dunklen Marmorplatten verkleidet. An der Apsis sind schmale Rundbogenfenster angebracht, während die verhältnismäßig großen länglichen Fenster im Hauptschiff reckteckig sind. Die Seitenschiffe dagegen haben waagrecht angebrachte, rechteckige Fenster, die nachträglich verdunkelt wurden. An der Rückseite der Kirche befinden sich Wohnräume für den Pfarrer.

Eine Inschrift im Inneren der Kirche besagt, dass sie dem Franz (Franziskus) von Assisi gewidmet und am 18. August 1943 eingeweiht wurde (HAEC ECCL. IN HONOREM BEATI FRANCISCI ASSIS. CONF. AEDIFICATA AC 18. VIII.1943. BENEDICTIONE INAUGURATA). Wahrscheinlich wurde die Kirche dem hl. Franziskus gewidmet, weil sich unweit davon, neben dem heutigen Fussballstadion, jahrhundertelang ein gleichnamiges Kloster befand. Der heutige Kirchentitular ist wieder der hl. Franziskus, obwohl in der Zwischenzeit die  Muttergottes von Fatima eine zeitlang die Kirchenpatronin war.

In der Kirche befinden sich drei wertvolle Kunstwerke: das ausdrucksvoll bemalte Kruzifix, ein Werk des zeitgenössischen Labiner Künstlers Eugen Kokot, das Gemälde „Jessebaum“ (Öl auf Holz) des italienischen Malers Antonio Moreschi aus dem 17. Jh., das durch ungeschickte Restaurierung leider verpfuscht wurde, und das Gemälde „Ölberg“ (Öl auf Leinwand) von Valentino Lucas aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Der danebenstehende Glockenturm im italienischen Stil (Campanile) mit quadratischem Grundriss  ist schmal und hoch und mit Absicht in der Axe der zum Stadtplatz verlaufenden Hauptstraße platziert. Somit ist er hervorragend in die städtebauliche Ganzheit des Stadtplatzes eingefügt und schaftt das notwendige Gegengewicht zu der kompakten Kirchenfassade her. Die waagrechten Bänder an der Glockenturmfassade lassen diesen Bau stabil erscheinen. Hoch oben, unmittelbar unterhalb der Spitze, ist er nach allen Seiten jeweils mit vier schmalen senkrechten Öffnungen versehen. Der Glockenturm endet mit einem mit Dachziegeln bedeckten Walmdach.

Villetten

Den Namen vilete (it. villette – kleine Villen) bekamen die Häuser, die für die Führungskräfte des Bergwerks gebaut wurden. Sie hatten einen größeren Komfort, z.B. Zentralheizung, was zu der Zeit eine sehr fortschrittliche Neuigkeit war. Außerdem wurde die Inneneinrichtung der für die Direktoren bestimmten vier Viletten extra gestaltet. Ursprünglich waren in den eingeschossigen Häusern jeweils zwei Vierzimmerwohnungen von je etwa 100 m² eingerichtet: eine im Erdgeschoß, und eine im 1. Obergeschoß. Heute sind in jedem Haus vier Zweizimmerwohnungen von je 50 m² untergebracht, je 2 im Erdgeschoß und im 1. Obergeschoß. Jede Wohnung hat einen separaten Eingang mit einem kleinem Vorraum, von dem eine schmale Treppe zum ersten Obergeschoß führt. Unter dem leicht angehobenem Erdgeschoß befinden sich Kellerräume. Jede Wohnung hat auch eine eigene, ziemlich große Grünfläche zur Verfügung, auf der nach Wunsch ein Blumen- oder ein Gemüsegarten angelegt werden kann. Die Erdgeschosswohnungen haben über Balkon direkten Zugang zum Garten. Die glatten Fassadenflächen sind mit einem etwas höherem Steinsockel versehen. Die Walmdächer sind mit Dachziegeln bedeckt. Die großen Fensteröffnungen sorgen für eine gute Belichtung der Wohnungen, die durch ihre hohen Decken noch geräumiger erscheinen.

Kazarmoni

Die Geschoßwohnungsbauten, die für Bergleute und einfache Arbeiter bestimmt waren, wurden kazermoni (it. Casermone – großes Haus) genannt. Die langgestreckten rechteckigen Bauten sind durch drei vorspringende, fast quadratische, Ausbauten (corpo avanzato) gegliedert. Diese sind im ersten und im zweiten Obergeschoß durch eine Art Brücken, die rhythmisch wiederholt werden, mit dem Gebäudekörper verbunden. Trotz der allgemein einfachen Gestaltung entsteht dadurch ein abwechslungsreicher, verspielter Eindruck, ja sogar der Schein eines Formenreichtums. Jeder Brücke entspricht ein Treppenhaus im Inneren des Gebäudes. Das Grundbauelement, das aus zwei größeren einander gegenüberliegenden Wohnungen (56 m²) im Gebäudekörper und einer kleineren Wohnung (45 m²) im vorspringeden Ausbau besteht, wird neun Mal auf drei verschiedenen Niveaus wiederholt. So ist ein Wohnblock mit 27 2-Zimmerwohnungen entstanden.

Die mit Steinsockeln versehenen Gebäude hatten eine glatte Fassadenfläche mit relativ großen Fenstern. Die ursprünglichen flachen Pultdächer wurden bei den späteren Renovierungsarbeiten durch mit Dachziegeln bedeckte Walmdächer ersetzt.

Die Wohnungen im vorspringenden Gebäudeteil bestehen aus einem Flur, zwei Zimmern, einer Küche mit Essraum, Bad und einer kleinen Abstellkammer. Die etwas größeren Wohnungen im Gebäudekörper haben statt der Abstellkammer einen kleinen Balkon. Die Kellerräume unter dem Gebäude entsprachen den Bedürfnissen der Bewohner nicht, so dass man auf den Grünflächen zwischen den Kazarmoni zusätlzich Holzschuppen baute. Bis in die 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts wurden die eingebauten Küchenöfen mit Kohle beheizt, die an die Bergleute zu einem vergünstigten Preis verkauft wurde.

Kazakape

Aus dem italienischen Case per i capi (Häuser für Führungskräfte) entstanden, bezieht sich diese Bezeichnung auf die Gebäude, die für Aufsichtspersonen und Angestellte des Bergwerks gebaut wurden. In diesen Gebäuden sind jeweils vier Dreizimmerwohnungen untergebracht: zwei Wohnungen von je 72 m²  im Erdgeschoß, und zwei Wohnungen von je 69 m² im 1. Obergeschoss. Jede Wohnung hatte einen direkten Zugang von außen. Die Eingänge im Erdgeschoß, die man über einige steinerne Treppen und die Vorhalle erreicht, sind mit einem kleinen Vordach versehen. Die Erdgeschoßwohnräume sind also nicht ebenerdig, sondern etwas von der Erde abgehoben. Der Steinsockel des Gebäudes ist daher auch etwas höher und reicht bis zu der Ebene der Erdgeschoßwohnungen. Im Steinsockel befinden sich Lüftungsöffnungen, die unterhalb der Wohnräume quer von einem zum anderen Gebäudeende verlaufen. Zu den Wohnungen im Obergeschoß führen seitlich angelegte steinerne Außentreppen, die an das typische Bauelement der traditionellen istrischen Architektur, den baladur (Außentreppe mit überdachem Eingang), erinnern. An der Rückseite des Gebäudes haben die Erdgeschoßwohnungen eine geräumige Terasse, von der man über einige Treppen in den Garten gelangt. Zu jeder der vier Wohnungen gehört ein Stück Garten. Die ursprünglichen Grünflächen wurden aber durch die seit den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts darauf gebauten Garagenreihen verkleinert.  

Auch die Kazakapi haben mit Dachziegeln bedeckte Walmdächer.

Die Wohnungen haben zwei größere und ein kleineres Zimmer, eine mit dem Esszimmer verbundene Küche, einen Flur, ein Badezimmer, eine Toilette, eine Abstellkammer und einen Holzschuppen im Garten. Die großen Fenster sorgen für gute natürliche Belichtung der Wohnungen, während die hohen Decken zusätzlich zum Eindruck der Geräumigkeit beitragen.

Direktionsgebäude 

Das Direktionsgebäude befindet sich am Rande der Industriezone des Labiner Steinkohlebergwerks. Der mittlere rechteckige Hauptbaukörper überragt zwei niedrigere Gebäudeflügel, die sich in Richtung Stadtplatz, bzw. Hauptschacht (sog. šoht) erstrecken. Das zweigeschossige zentrale Gebäude beherbergte zahlreiche Büros. Zum geräumigen Haupteingang gelangte man über wenige Steintreppen, und aus der Eingangshalle führten breite, prachtvolle Marmortreppen zu den Obergeschossen. Nach dem Krieg wurde das Gebäude wegen Büroraummangel um zwei Etagen erhöht.

Im Gebäudeflügel, der sich in Richtung Stadtplatz erstreckt, befand sich eine Kantine für die Bergleute. Nach dem Krieg nannte man daher das ganze Gebäude „četvrti obrok“ („Die vierte Mahlzeit“).

An der Seitenfassade des Direktionsgebäudes befindet sich ein zweiter Eingang, den die Bergleute benutzten. Von diesem Eingang, zu dem auch einige Steintreppen führen, erstreckt sich ein langer Flur, der sich rechts in einen geräumigen Saal (heute der Marmorsaal) eröffnet. In diesem Saal, dessen Wände mit grauem Marmor getäfelt sind, befanden sich Schalter für alle Arbeiterangelegenheiten. Auf der linken Flurseite waren Umkleideräume, Sanitäranlagen, Duschräume und der Durchgang zur Lampenkammer untergebracht.  Von der Lampenkammer gelang man schließlich zum Schachtaufzug.

Unter diesem Gebäudeteil befand sich einst eine Leichenhalle, die in den Bergwerken leider notwendig war. Es wird geschätzt, dass im Laufe der 400 Jahre der Steinkohlegewinnung in der Labiner Region etwa 750 Bergleute tödlich verunglückt sind. Erst seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts gab es im Bergwerk keine Todesfälle mehr. 

Die Grube Labin wurde 1988 endgültig stillgelegt. Lange Zeit danach wurden die Räume im ganzen zum Bergwerk gehörenden Industriekomplex nach und nach verlassen und verwüstet.

Dank dem Kultur- und Kunstverein Labin Art Express wurde neulich zuerst die Lampenkammer gerettet und renoviert. 

In letzter Zeit hat auch die Stadt Labin eine Initiative zur Neubewertung und Erneuerung dieses Industriekomplexes ergriffen. Dank dieser Bemühungen wurde der Pijacal (Platz) in die Liste der Kulturdenkmäler beim Kulturministerium der Republik Kroatien aufgenommen und somit zum Kulturgut erklärt. Unterstützt vom kroatischen Kulturministerium und der Istrischen Gespanschaft hatte die Stadt Labin einen städtebaulich-architektonischen Wettbewerb zur Erneuerung und Umfunktionierung des Flures, Marmorsaals und eines Teils der Mannschaftsbadeanlagen ausgeschrieben, den ein Team junger Architekten (Damir Gamulin, Margita Grubiša, Marin Jelčić, Zvonimir Kralj, Igor Presečan und Ivana Žalac) aus Zagreb gewann. Dem Team ist es hervorragend gelungen, diesen Raum seinem neuen Zweck anzupassen und gleichzeitig seinen ursprünglichen architektonischen Wert zu bewahren. So ist nun der Marmorsaal, in dem seit 2013 die Stadtbibliothek untergebracht ist, überwiegend strahlend weiß gehalten und prächtig vom Licht überflutet, das durch die vielen Glasziegeln an der Decke hineinkommt, während der restliche Raum (Flur, ehemalige Badeanlagen) überwiegend schwarz ist. Der starke Schwarz-Weiß-Kontrast ist natürlich eine klare Anspielung auf das ehemalige Bergwerk. Das Projekt wurde 2013 gleich mit zwei Preisen ausgezeichnet: mit dem Preis des Kroatischen Architektenverbandes und dem „Vladimir Nazor“ Preis des Kulturministeriums der Republik Kroatien.

Pijacal

Die gesamte Bergwerks-Industriezone wird mit dem Namen Pijacal (vom Italienischen piazzale in der Bedeutung einer von allen Seiten umbauten Fläche) bezeichnet. Neben allen zur Instandhaltung der Geräte und Anlagen des Bergwerks benötigten Werkstätten befanden sich hier auch geräumige Lager und chemische Laboratorien. Gleich neben dem Eingang zum Pijacal stand eine Fahrzeugwaage zur Verwiegung von leeren und beladenen Fahrzeugen. Etwas weiter vom Eingang entfernt wurde auf dem Pijacal-Gelände eine Heizanlage errichtet, die in zwei riesengroßen Kesseln das Wasser für das Bergwerk erwärmte, aber auch zur Beheizung eines Teils der Wohngebäude diente. Daneben wurde seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts eine Fabrik errichtet, die hauptsächtlich Kessel für Zentralheizung herstellte.

Rechts davon steht noch heute ein hohes Gebäude rechteckigen Grundrisses mit einer Ziegelfassade, die durch Betonbänder verstärkt ist. Darin befand sich eine Fördermaschine mit seinen zwei Riesentrommeln und Stahlseilen zum Senken und Heben von Förderkorben. Am südöstlichen Rand des Pijacals, in einem langgestreckten rechteckigen Bau, befanden sich mächtige Kompressoren zur Erzeugung von Druckluft zum Antrieb von Bergwerksmaschinen. 

Nach der Stillegung der Grube Labin wurden die Einrichtungen und Gebäude auf dem Pijacal nach und nach verwüstet. Im neuen kroatischen Staat gingen sie in Privatbesitz über und wurden zu neuen Zwecken umfunktioniert. Nur einige Bauten innerhalb des Pijacals dienen weiterhin als Produktionsbetriebe, der Rest wurde zu versciedenen Geschäften und Läden verwandelt.

Es ist sehr wichtig, dass der Pijacal zum kroatischen Kulturgut erklärt und in die Liste der Kulturdenkmäler beim Kulturministerium der Republik Kroatien aufgenommen wurde, denn das heißt, dass alle zukünftigen Eingriffe und Umbauten auf dem Industriegelände des ehemaligen Bergwerks von der zuständigen Abteilung für Kulturdenkmalschutz beaufsichtigt und koordiniert werden.

Šoht (der Schacht)

Unweit vom Kompressorenhaus und gegenüber dem Gebäude für die Fördermaschine befindet sich der Schacht – ein turmartiges stählernes Fördergerüst. Es wurde 1940, als die Grube Labin eröffnet wurde, in Betrieb genommen. Am oberen Ende des Schachtes befanden sich zwei riesengroße Seilscheiben zur Senkung und Hebung von Förderkörben. Der Förderkorb war mit drei Etagen ausgestattet und beförderte sowohl Bergleute (je 16 pro Etage) wie auch leere und geladene Förderwagen und alles andere, was man in der Grube brauchte. Die Führungsschienen waren aus Lärchenholz, weil es sich am besten beim Bremsen bewährt hatte. Das  stählerne Förderkorbseil wurde täglich überprüft und geschmiert.

Der Förderturm hat eine Höhe von 32,50 Meter, während  die Tiefe 570 Meter beträgt. Heute ist der Förderturm größtenteils stark verrostet und müsste dringend saniert und erneuert zu werden. 


Tullio Vorano
Literatur:                     Jugo Jakovčić, Arhitektura racionalizma: Tradicija modernog graditeljstva u Istri, in: Nova Istra, 3/2005, S. 147-154                   E. Montuori, Il piano regolatore di Pozzo Littorio, in: „Urbanistica“ 5-6, September-Dezember 1942, S. 7-11                                                                                                                         Azra Suljić, Podlabin – Pozzo Littorio, in: Nova Istra, 3/2005, S. 173-180       P. Tomasella, Pozzo Littorio, La città del carbone, in: „Territori e contesti d’arte“ 2, 1998, S. 87-99                                                                                                                                         P. Tommasella, Pozzo Littorio, un modello di città nuova, in: „Il moderno tra Conservazione e Trasformazione. Dieci anni di Do.Co.Mo.Mo. Italia: Bilanci e prospettive“, Sammelschrift der Internationalen Tagung (Triest, 5.-8. Dezember 2005), Triest, Editreg 2005, S. 271-282

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